Die Bild-Zeitung erscheint ohne Fotos und verwickelt in eine inhaltliche Diskussion. Reiner Zufall, dass am selben Tag der neue Werbe-Claim vorgestellt wird.
Wütender Elefantenbulle rennt Filmemacher um, Mann stellt sich Panzern in den Weg, Boxer knockt Ringrichter aus – „Bild“-gewaltige Sequenzen des Werbespots einer neuen XXl-Kampagane, die an dem Dienstag lanciert wird, an dem Springers Boulevard-Moloch seine vermeintlich diskursive Seite zeigt und einfach mal ohne Fotos erscheint. „Bilder sind Dokumente der Wirklichkeit,… der Wahrheit“, balsamiert „Bild“-Chef Kai Diekmann und erweckt damit den Eindruck, er wolle tatsächlich eine Diskussion um Zumutbarkeit, ethische Grenzen und Pressefreiheit führen.
Wie genial dieser Coup ist, zeigt die große Resonanz in den sozialen Netzwerken. Provokation schafft Meinung auf dem Weg zum viralen Mittelpunkt. Tu irgendwas und lass die anderen drüber reden. Inhalte interessieren nicht, eine ergebnisoffene Diskussion schon gar nicht. Die Auseinandersetzung mit dem Argument, Bilder von toten Kindern oder in einem Lastwagen elendig erstickten Flüchtlingen seien zu verstörend, will Diekmann selbstverständlich nicht führen. „Das ist Unsinn“, stellt der Erklärbär auf der „Bild“-Hompage klar – die Möglichkeit nämlich, das so etwas verstörend sei. Nein, um mediales Selbstverständnis geht es hier nicht. „Die Wirklichkeit schonungslos abbilden“ wie es der „Bild“-Chef weiter formuliert, trifft es hingegen – vorausgesetzt, niemand kommt auf die Idee, diesen Satz als die schwere Bürde misszuverstehen, das Verstörende täglich ausschließlich im Sinne der Leser und deren Vorlieben zumuten zu müssen.
Abgebildet wird an diesem Dienstag lediglich die verzahnte Platzierung eines neuen Claims für die Marke „Bild“. Nach „Bild Dir Deine Meinung“ kommt nun „Das bringt nur Bild“. Oder eben auch nicht. Nicht die Nachricht, der Informationsgehalt bestimmen den Wert, sondern das vermeintliche Wagnis als Ausdruck der Marke. „Das bringt nur Bild“. Stimmt so nicht ganz, in der Radikalität schon.
Es geht um Zahlen. Um Auflagezahlen. Die wiederum bestimmen Anzeigenpreise und damit Bilanzen. Und da ist „Bild“ schon längst in der Wirklichkeit angekommen. Die Auflage hat sich in zehn Jahren knapp halbiert. Wurden 2005 noch rund 3,8 Millionen Exemplare täglich verkauft, waren es im zweiten Quartal dieses Jahres noch 2,2 Millionen. Damit markieren die Berliner zwar im Print immer noch den Bestwert in Deutschland und lagen im August auch bei der Online-Nutzung mit insgesamt 317 Millionen Visits weit vor allen anderen – Geld verdient aber auch Axel Springer online trotz Paywall-Angeboten nicht in dem Umfang, um die Print-Verluste auszugleichen. Und die trügerische Sicherheit von Abo-Zahlen gibt’s eh nicht.
Wer sich daher über das Gebaren einer Marke echauffiert, deren Selbstzweck darin liegt, gekonnt Rudimente einer Gesellschaft zu bedienen, die in ihrer Entwicklung das wortwörtlich Gröbste noch längst nicht hinter sich gelassen hat, muss seinen Minderheitsfaktor anerkennen. Wie heißt es in der neuen „Bild“-Kampagne: „Alles geben. Alles zeigen.“ Und möglichst allen.
Foto: fotalia.com