Verwaltung und Politiker begründen ihren Wunsch, 2017 den Auftakt zur Tour de France in Düsseldorf ausrichten zu wollen, mit Chancen für die Fahrradfreundlichkeit in der Stadt. Diesem Argument geht schnell die Luft aus.
Samstag, 1. Juli, 2017, 17.12 Uhr. Beim Auftaktzeitfahren der 104. Tour de France rollt der Brite Chris Froome als letzter der 200 Teilnehmer von der Startrampe. Der Sieger der Jahre 2013, 2015 und 2016 gilt auch in diesem Jahr nach einem starken Frühjahr als Favorit auf den Sieg bei der Grande Boucle. Schwung für die Zeitenhatz nimmt der 32-Jährige jedoch nicht in der Hauptstadt seines Heimatlandes auf. Nachdem London die Bewerbung als Austragungsort für den Grand Départ, den Auftakt der Tour, aus Kostengründen zurückgezogen hatte, entschied der Rat der Stadt Düsseldorf am Abend des 5. November 2015, sich bei der Tour-Organisation A.S.O. (Amaury Sport Organisation) und deren Chef Christian Prudhomme um die Ausrichtung der „Großen Abfahrt“ zu bewerben.
Dass die Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen wenig später den Zuschlag erhielt, war allerdings weniger Verdienst von Oberbürgermeister Thomas Geisel und anderen Befürworten des sportlichen Buckelns. Es fehlte schlicht Konkurrenz, nachdem neben London auch Münster und andere Städte keine Millionen Pfund oder Euro in der Ausrichtung des Sportspektakels hatten investieren wollen. Zu groß sei das finanzielle Wagnis, zu gering die Wahrscheinlichkeit langfristiger Synergien für die Umsetzung urbaner Radfahrkonzepte, begründeten die Rückzieher ihre Entscheidung.
Die wenig belastbare Mehrheit einer Stimme im Düsseldorfer Stadtrat hingegen ließ sich von solchen Einwänden und den prognostizierten sechs Millionen Euro städtischer Zuschüsse die Stimmung nicht verderben. Wer im Stadtnamen ein „Dorf“ als provinziell klingende Bürde mitschleppen muss, plant umso üppiger. Da wird die Unterstützung für die Chance auf globale Effekte durch Politiker von AfD und und Republikaner lediglich als Schlagloch eines ansonsten feinst asphaltierten Boulevards durchrumpelt.
Vorfreude in den Sozialen Netzen
Die Wahrscheinlichkeit, dass der fiktive Texteinstieg ein reales Stück Sportgeschichte wird, ist groß. Die Reaktion der Radsportgemeinde in den Sozialen Netzen war kurz nach der Abstimmung im Rat entsprechend ausgelassen. Die Möglichkeit, in knapp zwei Jahren das drittgrößte Sportereignis der Welt besuchen zu können, ist für Radsportfans schließlich eine echte Perspektive. Nur Olympische Spiele und Fußball-WM sind größere Publikums- und Medienereignisse als die jährliche Tour de France.
Deren Budget liegt bei rund 200 Millionen Euro. 50 Prozent davon spielt die A.S.O über die Vergabe der Fernsehrechte ein, 40 Prozent kommen von Sponsoren – und 20 Millionen Euro übergeben die Städte, die sich eine Etappenankunft oder eben den Grand Départ haben sichern können. Wobei es für die Gewinner der Auftaktveranstaltung ein bisschen mehr sein darf: Düsseldorf geht zum jetzigen Zeitpunkt von elf Millionen Euro Gesamtkosten aus. Als Karlsruhe 2005 Zielort der siebten Etappe war, betrug der Etat im Badischen 500.000 Euro.
Familien trifft Hochleistungssport
Das Auftaktzeitfahren einer Tour de France ist ein Erlebnis: Männer in hauteng angepassten Spezialanzügen, die Köpfe aerodynamisch optimiert behelmt, sitzen tief gebeugt auf speziell nur für die Disziplin des Schnellfahrens entwickelten Fahrrädern, die mehr als 10.000 Euro kosten, und rasen im Flachen jenseits der 50 km/h den tickenden Sekunden hinterher. Das ist der Stoff für einen unterhaltsamen Samstag zwischen Rhein und Altstadt, für einen eintrittsfreien Familienausflug ins Phantasialand des Hochleistungssports. Während Kenner der Szene über Übersetzungen, Reifendrücke und Wattzahlen fachsimpeln, genießt die Mehrheit der prognostizieren eine Million Besucher staunend die Atmosphäre eines besonderen Sportereignisses, das im besten Falle von Düsseldorf vorbildlich arrangiert wurde und daher bestes Marketing für die Stadt ist. Und mancher wird mit dem Vorsatz nachhause fahren, dem eigenen Fahrrad in Zukunft mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Also alles gut? Nicht ganz.
Düsseldorfs Verwaltungsspitze und Politiker von SPD und Bündnisgrünen verkaufen die Ausrichtung des Grand Départ als Katalysator. „Das ist eine Hilfe auf dem Weg, Düsseldorf zu einer echten Fahrradstadt zu machen“, sagte Beigeordneter Stephan Keller auf der Sitzung des Stadtrats. Und weiter: „Wir müssen das Thema Fahrradfahren in die Köpfe bekommen.“ Da scheinen dem Mann einige Kausalitäten unter die Räder gekommen zu sein. Für die Mehrheit der Bevölkerung besteht die Nachvollziehbarkeit eines Einzelzeitfahrens der Tour de France maximal darin, Zeitdruck auf dem Fahrrad vom morgendlichen Stress zu kennen, pünktlich zur Arbeit zu kommen.
Fahrradboxen wichtiger als Profimuskeln
Für den Sieg bei diesem ganz persönlichen Rennen ist allerdings kein zweirädriges High-Tech-Material erforderlich. Was dann zählt, ist der optimierte Ausbau eines Radwegnetzes mit wenig Feindkontakt (Autofahrer, Ampeln) und viel Rollqualitäten (Breite des Radwegs, Asphaltgüte). Da E-Bikes boomen, gehören Ladestationen für das Prädikat „fahrradfreundlich“ ebenso ins kommunale Lastenheft wie Fahrradstationen fürs sichere Abstellen des Rades. Bedingung für urbane Radkultur ist die entsprechende Ausstattung der Stadt durch die Stadt, nicht der Anblick fettfreier Profimuskulatur.
Ehrlich wäre daher die Aussage aus dem Düsseldorfer Rathaus, mit der Ausrichtung des Grand Départ in die Hall of Fame global bedeutender Sportstädte aufsteigen zu wollen. Das lässt sich doch so kommunizieren, ohne anrüchig zu wirken. Karlsruhe macht es vor: „Mit der Förderung des Radfahrens hatte das damals überhaupt nichts zu tun“, sagte gestern eine Mitarbeiterin des Sportdezernats der Stadtverwaltung Karlsruhe auf Nachfrage. Es habe sich lediglich um ein gutes besuchtes Sportevent ohne Nachhaltigkeitsgedanken gehandelt.
Wie der Versuch, den Wunsch nach Ruhm mit ökologischer Vorbildfunktion zu begründen, daneben gehen kann, belegte ein Ratsmitglied der SPD eindrucksvoll. „Die Hamburg Cyclassics kann man nicht mit der Tour de France vergleichen“, sagte Markus Raub. Recht hat er: Bei den Cyclassics starten nämlich neben Topstars aus den Profiteams jährlich mehr als 20.000 Jedermänner. Was meinen Sie, werte Düsseldorfer, was hat nachhaltigeres Identifikationspotenzial? Der wohlbeleibte Mitfünfziger, der nach 55 Kilometern stolz wie Bolle von seinem Erfolg in der tollen Hansestadt berichtet oder der Mann mit Leistungswerten, die einen Haarfön zum Glühen bringen können?