Die Bürger eines Stadtteils von Velbert bei Wuppertal wehren sich gegen Pläne zum Neubaus einer forensischen Klinik. Offiziell argumentieren sie mit der Rettung eines Landschaftsschutzgebiets.
Neviges gilt als bekannter katholischer Wallfahrtsort. Als Einheimischer ist es schwer, dieser These beizupflichten, wenn die Cafés rund um den Mariendom montags in stiller Eintracht mit dem ortsansässigen Coiffeur-Handwerk gläubige Auswärtige mit einem „Heute geschlossen“ herzlich willkommen heißen. Da möchte der Gast doch gleich länger verweilen. Und da der Einzelhandel mittwochs nach der üblichen Mittagspause von 120 Minuten Länge gar nicht erst wieder öffnet und Immobilienbesitzer ihre Ladenlokale lieber leer stehen lassen als zu realistischen Preisen Mieten zu erzielen, ist Neviges, ein Stadtteil von Velbert zwischen den Großstädten Wuppertal im Süden und Essen im Norden, keine Perle des Bergisches Landes.
Es gibt zwei Supermärkte, Grundschulen, immerhin zwei S-Bahn-Haltepunkte (wegen der Pilger), den sehr empfehlenswerten türkischstämmigen Gemüsemann und den lesenswerten Blog von Grimme-Preisträger Norbert Molitor – aber sonst so gar keine echte Themenlage. Der gemeine Nevigeser leidet daher zwischen Ennui und echter Depression. Bis vorhin. Jetzt gibt’s im Dorf nämlich einen echten Aufreger, gegen den „Flüchtlinge“ trotz Wort des Jahres so prickeln wie der wöchentliche Gang zur Fußpflege: Der frisch gewählte SPD-Oberbürgermeister von Wuppertal, Andreas Mucke, hat der Landesregierung auf deren Suche nach einem Grundstück für den Bau einer forensischen Klinik eine Fläche angeboten, die sich als eine Art Wurmfortsatz des Wuppertaler Stadtgebiets wenige hundert Meter von Neviges entfernt als ökologisch geadelter Landschaftsschutzbereich in topografischer Höhenlage hinzieht.
„Velbert anders“ – der Name einer
Wählergemeinschaft als Programm
Diese Baupläne gilt es aus Nevigeser Sicht zu vermeiden. Eine Wählergemeinschaft mit dem bezeichnenden Namen „Velbert anders“ lud daher jetzt zu einer Bürgerversammlung mit dem strategischen Ziel ein, dem Widerspruch eine Heimat zu geben. Er wolle nicht die Notwendigkeit solcher Einrichtungen für psychisch kranke Straftäter in Frage stellen, sagte der Fraktionsvorsitzende. Diese seien schließlich erforderlich, um die Gesellschaft zu schützen. Richtig vermutet, es folgte wie erwartet das „aber nicht bei uns“.
Nun ist dieser Herr als Angehöriger der sich fürs Gemeinwohl aufopfernden Gattung der unverzichtbaren Kommunalpolitiker (das war nicht nur Ironie) vielleicht einfältig – dumm ist er nicht. Folglich spricht er nicht von Kinderschändern oder anderen sexuell motivierten Straftätern, die nur auf den Moment des Ausbruchs warten, um in Kitas, Grundschulen und in Reihen der rund 9000 Mädchen und Frauen in Neviges ihr nächstes Opfer zu suchen. Diesen Part übernehmen aufrechte Bürger auf der Versammlung mit Forderungen wie der, für den Fall, dass doch bei ihnen vor der Tür gebaut werden sollte, Flächen für pharmazeutische Betriebe auszuweisen, damit diese kostengünstig ihre Produkte an den Insassen einer Forensik testen können.
Solche Beiträge lächelt der Fraktionschef, in Sachen populistischer Strategien nicht ganz unerfahren, milde weg. Aber Scherz beiseite. Offiziell denkt der Mann ja grün und nicht etwa düster. Sein „Nein“ wird nach eigenen Angaben ausschließlich von der Sorge um den Verlust der Grünfläche gespeist. Dagegen gelte es zu kämpfen. Durch Versiegelung von zwei Hektar Wiesenfläche für sieben Gebäude der forensischen Einrichtung drohe Neviges im Tal der Überflutung zu versinken – rein geografisch gesprochen, versteht sich.
Verzicht auf die
Überzeugungskraft von Fakten
Derartige Argumentation enthebt der Anstrengung, näher auf die Strukturen forensischer Einrichtungen und damit den Maßregelvollzug verweisen zu müssen, in dessen System Sexualstraftäter rund zehn Prozent der Patienten ausmachen. Der überwiegende Teil derjenigen, die eine schwere Sexualstraftat begangen haben, landet in einer „normalen“ Vollzugsanstalt. Das ist erschreckend. Auch kein Wort, warum die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen so dringend nach Bauplätzen für forensische Kliniken nicht nur im Landgerichtsbezirk Wuppertal sucht und insgesamt knapp 1000 neue Maßregelvollzugsplätze plant: Neben fehlenden Plätzen in forensischen Einrichtungen ist die Aufenthaltsdauer der Patienten in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen. Grund ist das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung. Dem folgend, bleiben Täter im Zweifel über ihre Prognose weiterhin in Behandlung.
Eltern und Partnern, die sich um die Sicherheit ihrer Kinder und Frauen sorgen, kann daher tatsächlich nur dringend geraten werden, zu demonstrieren: für den schnellst möglichen Bau der forensischen Klinik nämlich, damit sie und ihre Lieben sicherer leben können. Ich höre sie schon stottern – auf der nächsten Bürgerversammlung.