Die Zahl der Anbieter, die im Web einzelne Artikel aus unterschiedlichen Zeitungen verkaufen, wächst. Wirklich preiswert und aktuell ist die Auslage an diesen Digital-Kiosken nicht immer.
Die Info-Variabilität beginnt mit einer Schere und einem groben Plan. Mit diesem Zubehör ausgestattet, betreten Sie einen Handel mit Printprodukten und beginnen, Zeitungen und Zeitschriften nach Inhalten durchzublättern, die Sie interessieren und schneiden Sie aus. Sollten Sie beim Kuratieren der gedruckten Favoriten nicht unterbrochen werden, legen Sie Ihr ganz persönliches Best-of an der Kasse vor, um nach Einzelfallentscheidung abzurechnen: sieben Cent für die Meldung aus der Regionalzeitung, deren 70 für die mehrseitige Hochglanzreportage.
Für all die Seiten mit garantiertem Die-überblättere-ich-sowieso-Faktor müssen Sie nicht zahlen. Klingt nach verlockender Theorie, sehr realer Sachbeschädigung und damit keinem Modell, von dem ein Kioskbetreiber zu überzeugen wäre. In der digitalen Welt hingegen ist Schnipseln erlaubt. Oder genauer: Der Kunde lässt schnipseln. Ganz legal.
Der Niederländer Marten Blankesteijns arbeitet hinter der Theke eines solchen Digital-Kioskes. Das Geschäftsmodell des Gründers der Firma Blendle mutet zunächst simpel wie überzeugend an: Über eine Onlineplattform können Kunden einzelne Texte erwerben, deren Preise die Verlage – Axel Springer hat bereits zugesagt – mitbestimmen, die Texte zum Verkauf anbieten. Die Einnahmen teilen sich Blendle und Verlag. Bei Nicht-Gefallen gibt’s sogar den Kaufpreis zurück. Die Beta-Variante von Blendle soll noch in diesem Jahr in Deutschland starten.
Neu ist die geschärft zugeschnittene Bedienung individuellen Leseverhaltens indes nicht. Bereits seit Mai dieses Jahres verkauft der Online-Kiosk Pocketstory. „Hier liest Du das Beste vom Kiosk! Und kaufst nur die Artikel, die Du wirklich lesen willst“, marktschreit die Homepage des Hamburger Start-up-Unternehmens. Das Konzept ähnelt Blendle: Warum das gesamte Blatt kaufen, wenn nur einzelne Artikel interessieren? Die Frage kann beantwortet werden: Weil’s aktueller und preiswerter ist.
Beispiel „Der Spiegel“: Am Montagnachmittag findet sich bei Pocketstory noch kein Bericht aus der aktuellen Spiegel-Ausgabe, der Nr. 35. Wer die Titel-Story über 100 Jahre Franz Josef Strauß oder das Interview mit Til Schweiger über dessen Engagement für Flüchtlinge und sein Turteln zwischen SPD und CDU lesen möchte, muss eben doch das Original und damit alles Produzierte dieser Woche aus Hamburg kaufen.
Finanziell ist diese Entscheidung eher ein Vorteil: Drei Texte aus dem Nachrichtenmagazin Nr. 34 mit prognostizierten Lesezeiten zwischen von 7 über 12 bis zu 17 Minuten berechnet Pocketstory mit 2,70 Euro. Die zum Vergleich relevante Digitalausgabe des „Spiegel“ kostet im monatlich kündbaren Abo 3,90 Euro, wovon 3,30 Euro aufs E-Paper entfallen. Bleiben für Käufe bei Pocketstory noch 1,20 Euro „Guthaben“ für eine Textstrecke, die mehr als 20 Minuten Lese-Aufmerksamkeit erfordert. Es gibt jedoch keine Garantie, dass der persönliche Wunschtext überhaupt am Online-Kiosk ausliegt.
Beispiel „Berliner Zeitung“: Pocketstory bietet am 24. August für 41 Cent einen Text über Sprintstar Usain Bolt an, der bereits am 21. August in der Tageszeitung erschienen ist und unter dem Titel „Der Laufbursche“ eine Vorschau auf die 100-Meter-Konkurrenz bietet. Zu diesem Zeitpunkt war Bolts neuntes Gold bereits 24 Stunden alt. Angepriesen wird diese Altlast unter der Rubrik „Top Stories“. Warum der Plural von „Story“ nicht „Storys“ geschrieben wird, ist ja möglicherweise eine Originalität, die sich nicht jedem erschließt und die außerdem vergleichsweise belanglos ist.
Solche Schludrigkeiten entwerten jedoch lediglich das Angebot, nicht die Idee. Digitale Informations-Supermärkte sind zukunftsfähig. Voraussetzungen für ihren Erfolg sind attraktive Preisgestaltung und aktuelle Angebote, um den Vorteil des individualisierten Nachrichten-Einkaufs über die Kostenlos-Kultur im Web und die fantasielosen Pay-Content-Modelle bekannter Art zu hieven.
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