In fünf bis sechs Wochen, so ihre Schätzung, hat sie alles verteilt, was in den vergangenen drei Wochen liegen geblieben ist.
Sie ist eine von den Netten. Meist freundlich, im Wortsinne entgegenkommend, und pünktlich ist sie auch. Fall sie kommt. Was in den vergangenen drei Wochen nicht der Fall war. Da hat sie gestreikt. Für besseren Lohn und gegen tarifliche Nachteile durch Abschiebung in eine Tochterfirma der Post. Gestern hat sie wieder Dienst am Kunden mit ihrem Wagen geschoben, unsere Briefzustellerin.
Ich habe mich gefreut, sie zu sehen. Auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht dazu gekommen war, unseren Briefkasten zu füttern. Nach vier Wochen Streik gibt’s eben viel zu verteilen. „Das wird so fünf bis sechs Wochen dauern, bis wir die Postberge abgearbeitet haben, die sich aufgetürmt haben.“ Es gelte, große Überseecontainer, die voll mit liegen gebliebenen Briefen im Düsseldorfer Verteilzentrum stünden, zu leeren. Kalendarische Systematik ist dabei nicht zu erwarten: „Schauen Sie. Das sind Briefe vom 12. Juni. Das geht alles durcheinander.“
Weshalb eigentlich in unserem Viertel drei Wochen lang keine Post gekommen ist, will ich vor ihr wissen. Wo doch auf der Homepage der Post während der Streikphase der vermeintliche Kundenservice angeboten wurde, die Postleitzahl des eigenen und/oder des Absenders einzufügen, um sich über die prognostizierte Verspätung informieren zu lassen. Dort war immer von ein bis zwei Tagen zu lesen. „Das war doch alles gelogen“, sagt die Postfrau. Die Realität stützt diese Vermutung. Aber auch die knallhart recherchierende Bild-Zeitung empfahl Kunden noch gestern den Postleitzahl-Service der Post. Blöd nur, dass der Zustelldienst diese Peinlichkeit zu diesem Zeitpunkt bereits offline gestellt hatte.
Der Plausch mit der der Postfrau (auf die zehn Minuten Verspätung kommt es jetzt auch nicht mehr an, werte Nachbarn) endet mit deren Vorwurf gegen das eigene Unternehmen, Journalisten und damit die Öffentlichkeit mangelhaft über den Streik informiert zu haben. „Beim Streik der Lokführer was das ganz anders.“ Abgesehen davon, dass es durchaus Journalisten gibt, die nicht darauf warten, mit Pressemitteilungen gefüttert zu werden, sondern aktive Recherche als Teilaspekt ihres Berufsbildes praktizieren, hat die Frau völlig Recht. Verglichen mit dem Aufstand der Lokführer-Gewerkschaft GDL war die mediale Bearbeitung des Postler-Arbeitskampfes von einer Intensität geprägt, die darauf schließen lässt, dass wir Briefe eh abschreiben, wenn wir sie bei der Post aufgeben.
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