In Nordrhein-Westfalen werden kaputte Straßen nicht mehr erneuert, sondern lediglich geflickt. Bis zum Beginn der Arbeiten gilt vielerorts Tempo 30.

„Max. 25 km/h“ steht auf dem Anhänger des Traktors, der über die Landstraße 442 zwischen Essen-Kettwig und Essen-Werden rumpelt. Tatsächlich macht das Gespann rund 40 Sachen. Hinter dem landwirtschaftlichen Gerät sind zwölf Autos aufgelaufen, dazwischen schwimmen lässig einige Radrennfahrer mit, die den Windschatten der vorausfahrenden Fahrzeuge ausnutzen. Zu schnell fahren sie alle. Auf der Laupendahler Landstraße, die weiter östlich Werdener Straße heißt, ist auf einer Länge von drei Kilometern maximal 30 km/h erlaubt.

Zone-30-Tempo auf einer außerörtlichen Straße, die meist schnurgeradeaus zwischen Feldern ohne jede Hinterhältigkeiten links der Ruhr die beiden Stadtteile verbindet? Neu aufgestellte Hinweisschilder, die bei der Schleichfahrt bestens zu lesen sind, schaffen Klarheit: „Straßenschäden“ steht dort unter der Tempovorgabe. Neu ist das nicht. Bereits vor Jahren haben an den Straßenrändern Teile der obersten Asphaltdecke  ihre Verbindung zur Tragschicht gelöst. Entstanden ist im Laufe Zeit eine veritable Marterstrecke, wie Radio-Mann Alfred Zerban ab den 1970er-Jahren immer samstags in der WDR2-Sendung „Freie Fahrt ins Wochenend“ den ultimativen Härtetest für der Auto Stoßdämpfer und des Testers Zahnplomben nannte.

Solche Rumpelpisten walken längst nicht mehr nur an der Wahner Heide bei Köln Karosse und Alfred Zerban gewollt durch – der Materialstress ist tägliches Straßen-Programm und für die Fahrer überdimensionierter SUV-Monster fast schon so etwas wie die Legitimation, PS-armiert und höher gelegt durch urbane Asphalt-Landschaften pflügen zu müssen. Die L 442 in Essen ist da nur ein besonders üppig geratenes Beispiel für die Wandlung von Straßen in bessere Wirtschaftswege.

„Der Sanierungsstau auf Landstraßen ist enorm“

100.000 Euro stehen der Regionalniederlassung Ruhr des Landesbetriebs Straßenbau NRW für Arbeiten auf der L 442 zur Verfügung. Klingt üppig, ist wenig. Das reicht lediglich für  Arbeiten, deren Haltbarkeit einem Farbanstrich auf Rost entspricht. „Geplant ist eine Flickenreparatur“, sagt Peter Beiske, Sprecher der Regionalniederlassung. Mehr gibt das Budget nicht her. Es sei nicht Ziel des Landesbetriebs, Schlaglöcher zwecks Einführung einer flächendeckenden Tempo-30-Zone durch die Hintertüre zu kultivieren, „aber der Sanierungsstau auf Landstraßen ist einfach enorm.“

Wie lang genau dieser Stau ist, mag beim Landesbetrieb auf Nachfrage niemand beziffern – da verweist ein Sprecher auf Aussagen seines obersten Dienstherrn, Landes-Verkehrsminister Michael Groschek.  In dessen Investitionsplan stehen für dieses Jahr 100 Millionen Euro bereit. Dieses  so genannte Erhaltungsprogramm umfasst 150 Landesstraßen sowie neun Rad- und Gehwege, heißt es in einer  Pressemitteilung des Landtags. Wie viele Euro jedoch tatsächlich erforderlich wären, um die Marterstrecken im Lande dauerhaft zu glätten und mit wie vielen der 100 Millionen Euro auch tatsächlich Schlaglöcher gefüllt werden – das steht nicht drin. Dazu Maik Grimmeck, stellvertretender Sprecher des Ministeriums: „Die Gelder, die abgerufen werden, werden auch ihrem Zweck entsprechend verbaut. Die Verkehrssicherheit auf den Landesstraßen ist damit stets mit geeigneten Mitteln zu gewährleisten.“ Von einem Planungsstau ist im Ministerium nicht die Rede.

Ein wesentliches Problem im Lande sei jedoch nicht nur die Reparatur von Fahrbahnen, sondern auch die Erneuerung von Brücken, insbesondere wie auf der A 1 und A 40. Grimmeck: „Daher werden vorrangig Straßenschäden saniert und nur wenige Straßen neu gebaut. Investitionen in den Erhalt unserer Straßen sind da viel notwendiger und wichtiger.“

Was nicht bedeutet, dass diese monetäre Verschiebetaktik den Sanierungsstau auflöst – denn: „Um die Verkehrs-Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen aufrechtzuerhalten, wären alleine 4,5 Milliarden Euro zusätzlich erforderlich, um nur die Brücken auf den Bundesfernstraßen in NRW zu erhalten „, sagt Grimmeck. Das ist nach aktueller Rechnung das Investitionsvolumen von mehr als zwei Jahrzehnten.

 

Rechtsfahrgebot gilt nicht bei Schlaglöchern

Auf der L 442 ist der Traktor mittlerweile in einen Feldweg abgebogen. Die Fahrer der Autos dahinter geben Gas, als müssten ihre Wagen der drohenden Lähmung entkommen. Tempo 30 – na und? Als die Gruppe Radfahrer nicht die rechte Fahrbahnseite der Straße ansteuert und weiter in der Fahrbahnmitte pedaliert, werden Hupen gedrückt und Stinkefinger gezeigt. Tanja Hagelüken, Pressesprecherin der Polizei in Essen, analysiert die unterschiedlichen Interessenlagen: „Zunächst einmal gilt für alle Tempo 30 – auch für Radfahrer.“ Darüber hinaus seien diese jedoch trotz des Rechtsfahrgebots nicht verpflichtet, durch Schlaglöcher zu rumpeln. „Dann reicht es, wenn sie mit der Hand signalisieren, dass sie nach links ausscheren“, sagt Hagelüken. „Und im übrigen ist gegenseitige Rücksichtnahme sinnvoll.“

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