Während ein Polizeigewerkschafter vor einer Eskalation der Gewalt unter Flüchtlingen warnt, weist das NRW-Innenministerium solche Szenarien zurück.
„Massenschlägerei unter Flüchtlingen“ titelte die ZEIT, nachdem in einer Flüchtlingsunterkunft in Kassel Ende September 14 Menschen verletzt worden waren. „Wir sprechen hier über die größte Herausforderung der Polizeigeschichte seit 1945″, kommentierte der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt (58), vor einigen Tagen in einem Interview des Online-Portals DWN und äußert in dem Gespräch die kühne These, der Öffentlichkeit würden bewusst Informationen über Kriminalität in Flüchtlingsunterkünften vorenthalten, „um sie nicht unnötig in Schrecken zu versetzen“.
Die fragwürdige Allianz aus Hardliner Wendt, der in Zusammenhang mit Stuttgart 21 den Satz sprach, dass „polizeiliche Einsatzmittel Waffen sein müssen, die weh tun, nur dann wirken sie“ und den erprobten Verschwörungstheoretikern von DWN mag nicht der Stoff für distanzierte Betrachtungen sein – gleichwohl weist das Interview auf Folgen der steigenden Flüchtlingszahlen hin. Werden Menschen unterschiedlicher Ethnie und Religion derselben Unterkunft zugewiesen, ist kaum zu erwarten, dass das Überschreiten der deutschen Grenze und das Erlebnis „Willkommenskultur“ Konflikte lösen, die bereits in den Herkunftsländern erbittert geführt wurden.
Die Zahl der
Straftaten steigt an
Hinzu kommen Delikte wie Sachbeschädigung, Diebstahl, Beleidigung, Betrug oder auch sexuelle Nötigung, die an der Spitze der Straftaten stehen, die Flüchtlinge im ersten Halbjahr 2015 begangen haben. Damit unterscheidet sich ihr Verhalten kein Jota von dem deutscher Bürger. Mehr Flüchtlinge bedeuten aber auch einen Anstieg der Straftaten. Als Teil der Exekutive sind es Polizisten, die für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu sorgen haben – selbstverständlich auch der von Flüchtlingen untereinander.
Wenn Rainer Wendt von der Gefahr eskalierender Massenschlägereien in Flüchtlingsunterkünften spricht, könnte er damit bei wohl meinender Auslegung seiner Worte die Forderung nach zusätzlichem Personal meinen und keine Panikmache betreiben wollen. Dies entspräche der DNA eines Gewerkschafters und der Erwartungshaltung seiner Kollegen an ihn. Über Personalfragen außerhalb der DPolG entscheidet indes nicht Wendt, sondern beraten Männer wie Ralf Jäger (SPD), Innenminister des einwohnerstärksten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen.
Land NRW stellt
zusätzlich 250 Polizisten ein
Jägers Ministerium versichert auf Nachfrage, längst Initiative ergriffen zu haben: „Die Sicherheit der Menschen hat für die Landesregierung oberste Priorität. Die NRW-Polizei bekämpft die Einbruchskriminalität, kriminelle Rockerbanden und geht gegen gewaltbereite Extremisten vor. Als weitere dauerhafte Aufgabe schützt sie die Flüchtlinge in den Einrichtungen des Landes und in den Kommunen.“ Dann folgt der Kardinalsatz: „Um allen Herausforderungen gerecht zu werden, wird die NRW-Polizei nochmals deutlich verstärkt.“ Konkret bedeute dies, „dass in diesem Jahr mit 1900 Polizisten nochmals 250 Beamte mehr als zunächst vorgesehen eingestellt werden“.
Diese Ausweitung des Stellenplans dient dem Ziel, „ein Weltbild zu vermitteln, dass auch unterschiedliche Religionen friedlich zusammenleben müssen“, wie es das Ministerium auf Nachfrage formuliert. Umso besser gelinge anschließend die Integration. Bevor die Ode an die Brüderlichkeit gelebt werden kann, erwartet aber auch das Ministerium eine Phase mit Faustschlägen statt Umarmungen. „NRW hat seit Anfang des Jahres über 160.000 Menschen aufgenommen. Angesichts der vielen Flüchtlinge in den Unterkünften sind zwischenmenschliche Konflikte und Spannungen unvermeidlich.“ Die Absage des für die kommenden Wochen geplanten Blitzmarathons ist ein Beleg dafür, worauf das Ministerium scharf stellt.
1290 Polizeieinsätze in
Flüchtlingsunterkünften
Massenschlägereien habe es bisher nicht gegeben. Aus NRW-Sicht stimmt diese Aussage. Kassel liegt in Hessen. Häufig würden Streitigkeiten durch praktische Probleme wie die Reihenfolge bei Badbenutzung oder Essensausgabe ausgelöst. Das klingt nach taktischer Beruhigung einer deutschen Bevölkerung, deren neu gesungener Kanon der „Ankommenskultur“ sich in wachsendem Widerstand gegen ungedeckelten Flüchtlingsansturm verdeutlicht. Daraus jedoch das gezielte Zurückhalten von Informationen zwecks Manipulation der Öffentlichkeit abzuleiten, wie Wendt es tut, dient der gezielten Stimmungsmache gegen die Anwesenheit von Flüchtlingen. Die Wahrheit ist weder apokalyptisch noch eine Randnotiz: Nach Angaben des Innenministeriums wurden im ersten Halbjahr 2015 in nordrhein-westfälischen Flüchtlingseinrichtungen 1290 Einsätze protokolliert, aus denen 499 Strafanzeigen wegen Körperverletzung, Beleidigung oder Diebstahl erfolgt seien. Insgesamt fahre die Polizei im Bundesland jährlich vier Millionen Einsätze.
Foto: fotolia.com