Der ehemalige Radprofi Charly Wegelius erzählt in dem Buch „Domestik“ vom Leben eines Knechts auf zwei Rädern. Das Thema Doping umkurvt er dabei aus Rücksichtnahme und Vorsicht.
Vor 15 Jahren hat ein Mr. Armstrong, US-Amerikaner aus Texas, ein Buch mit dem Titel „Tour des Lebens“ veröffentlicht. Darin erzählt der frühere Radprofi mit Demut auf den Logenplätzen und Heroismus im Parkett seinen Weg vom krebskranken Chemopatienten, der alle Widerstände überwindet und mit dem Sieg beim härtesten Sport-Event der Welt, der Tour de France, den Entwurf vom Übermenschen neu definiert. In aller Bescheidenheit, versteht sich. Gebrauchte Exemplare dieses Buches werden bei Amazon aktuell für 99 Cent verramscht, eine Neuauflage ist nicht in Planung.
Die Glaubwürdigkeit des Radsports durch den Ruf seines fahrenden Personals, Pasta und Pillen als gleichberechtigte Grundnahrungsmittel zu konsumieren, ist so stabil wie die Reifenbreite der Rennmaschinen. In einer Phase zarter Rückgewinnung öffentlicher Sympathien nach Selbstgeißelung und echten Anti-Doping-Programmen ist nun das Buch „Domestik“ erschienen, in dem uns ein Ehemaliger seine Wahrheit der Radsport-Welt verkaufen möchte. Aktuell wird die mit 16,80 Euro gehandelt.
„Ich war ein bezahltes Arbeitstier“
„Mein Name ist Charly Wegelius. Ich war elf Jahre lang Rad-Profi, und nahm an den härtesten und berühmtesten Rennen der Welt teil. Ich fuhr in Diensten absoluter Spitzenmannschaften und besaß schließlich sogar einen gut dotierten Vertrag. Ich lernte, im Dienst meiner Mannschaft unglaubliche Schmerzen auf mich zu nehmen und buchstäblich das Letzte aus mir herauszuholen. Aber ich gewann nie auch nur ein einziges Rennen. Ich war ein bezahltes Arbeitstier, ein Wasserträger, ein Domestik… Vergessen Sie die glamourösen, bunten Bilder von der Tour de France. Willkommen im wahren, brutal harten Leben eines ganz normalen Radprofis.“ Soweit das Vorwort zu „Domestik“.
Wer nach der „Tour des Lebens“ nie wieder ein Buch über Innenansichten dieser Sportart hat lesen wollen, möge den Abstinenzbereich für diese 298 Seiten verlassen. Wegelius, der seine aktive Karriere 2011 beendet hat, schildert weitestgehend unprätentiös einen Beruf, den zu ergreifen liebende Eltern ihren Kindern dringend abraten müssten. Er erzählt von moderner Knechtschaft im Mindestlohnbereich, Ausbeutung des eigenen Körpers, von Anpassungsstrategien am Rande der Selbstverleugnung und massiven Selbstzweifeln. Trotzdem ist das Buch keine Abrechnung mit dem System, kein Nachtreten, sondern Bekenntnis einer höchst ambivalenten Hass-Liebe zwischen Sportler und Disziplin.
Am Ende dieser Betrachtungen steht die Verwunderung darüber, wie viel Dreck hinter der Fassade dieses Potemkinschen Dorfes Profiradsport lagert – symbolisch wie wortwörtlich. Kakerlaken in miesen Absteigen, Ausfall des Abendessens nach knallharten Bergetappen, das Anziehen muffig-feuchter Klamotten, die morgens nicht trocken waren. Kein Stoff für Epen. Und der Angestellte als Ware mit Haltbarkeitsdatum, das beim Erreichen der Überflüssigkeit fällig wird. „In dem Moment, als ich in meine Hände schluchzte und die Tränen sich mit Schweiß und dem Dreck der schmutzigen Straßen mischten, der mein Gesicht bedeckt, erkannte ich die Wahrheit über den Profiradsport: Er ist kein verfluchtes Märchen.“
Die Wahrscheinlichkeit eines Preisverfall von „Domestik“ ist eher gering. Was allerdings auch daran liegt, dass Wegelius das Thema Doping mit Ausnahme des lapidaren Hinweises umkurvt, die Netten schonen zu wollen und bei den weniger Sympathischen dem Hinweis seiner Anwälte zu folgen, besser keine Details zu schreiben.